Die Gebietsreform von 1975 – Serie „50 Jahre Märkischer Kreis“ Teil 2
Von Hendrik Klein
Märkischer Kreis. Rund um das Geburtsdatum des Märkischen Kreises, den 01. Januar 1975, ranken sich viele Anekdoten und Legenden. Eine davon ist, dass die Stadt Hemer seinerzeit ihre Selbständigkeit behalten hat, weil der damalige NRW-Innenminister Willi Weyer (FDP), in dieser Funktion federführend für die Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen, in der Hemeraner Lungenklinik gut behandelt worden ist. Weyer soll damals als „Dankeschön“ dem Klinikdirektor und späteren Bürgermeister Hans Meyer versprochen haben: „Hemer bleibt selbständig!“ Denn ursprünglich war vorgesehen, Hemer in die seinerzeit kreisfreie Stadt Iserlohn einzugemeinden. Wie bekannt, kam alles anders. Iserlohn verlor den Status einer kreisfreien Stadt. Dafür wurde die damalige Stadt Letmathe ein Stadtteil Iserlohns. Letmathe brachte gut 28.000 Einwohner in die ungeliebte Ehe ein. Der Iserlohner Ortsteil, der viel lieber mit Hohenlimburg zusammen gegangen wäre, hat immer noch gut 25.000 Einwohner und wäre damit heute die fünftgrößte Kommune im Märkischen Kreis. Es kam bekanntlich anders.
Sauerland-Paderborn-Gesetz
Das Sauerland-Paderborn-Gesetz, das der Landtag am 5. November 1974 verabschiedet hatte, stellte die Weichen neu. Es war eines von mehreren, das in den 60er und 70er Jahren die kommunalen Grenzen des Landes total veränderte. Der Name des Gesetzes zeigt, in welchem großräumigen Zuschnitt diese Gebietsneuordnung vor sich ging. Das Ergebnis war für das westliche Sauerland die Bildung des Märkischen Kreises als einen der größten Nordrhein-Westfalens, ja seinerzeit sogar der neuntgrößte der Bundesrepublik. Am 1. Januar 1975 wurde der Märkische Kreis aus der Taufe gehoben.
Sieben Jahre politisches Gerangel
Der Märkische Kreis entstand im Wesentlichen aus den Alt-Kreisen Iserlohn und Lüdenscheid, der kreisfreien Stadt Iserlohn sowie dem Amt Balve. Sieben Jahre lang dauerte das politische Gerangel um die Neuordnung des Raumes Sauerland/Paderborn im Rahmen der Gebietsreform in NRW. Ziel des Landes war es, Verwaltungsstrukturen abzubauen und Kosten zu reduzieren. Von ehemals 2.327 Gemeinden blieben nach der Gebietsreform nur noch 370 Großgemeinden. Von vorher 38 kreisfreien Städten, darunter eben auch Iserlohn, verblieben 23. Die Zahl der Landkreise verminderte sich von 57 auf 31. Die Ämter verschwanden ganz von der Landkarte.
Ständiger Streit unter den Kommunen
Aber es ging nicht nur um Sauerland/Paderborn. Das ganze Land Nordrhein-Westfalen war zwei Jahrzehnte mit der Neugliederung der kommunalen Grenzen beschäftigt. Jede einzelne Entscheidung wurde von der Gebietskörperschaft, die dabei gewann, begrüßt – von denen aber, die aufgelöst und in andere Verwaltungsbezirke eingemeindet wurden, heftig bekämpft. Die Gebietsneugliederung war ein ständiger Streit, der die Kommunen entzweite und die Parteien spaltete. Zwischen den kommunalen Vertretern und den Abgeordneten des Landtages sowie der Landesregierung lag eine schier unüberwindliche Grenze.
Iserlohn wurde Mittelzentrum
Auch im Märkischen Kreis ging es im Vorfeld turbulent zu: Der Kreis Lüdenscheid orientierte sich entgegen den Plänen der Landesregierung eher südlich und focht mit dem Kreis Olpe einen Kampf um Plettenberg aus. Der Kreis Iserlohn rang zäh um seine Selbständigkeit, war aber im Rahmen des Gesamtkonzepts zu klein, um sich gegenüber den Ballungszentren des Ruhrgebiets und Hagen zu behaupten. Schließlich musste der Kreis noch Gebiete an Hagen (Hohenlimburg) und den Kreis Unna (Schwerte-Westhofen) abgeben. Die Stadt Iserlohn verlor ihre Kreisfreiheit, wurde aber immerhin mit Letmathe, Hennen, Sümmern und Kesbern zum Mittelzentrum ausgebaut.
Erste Neugliederung schon 1969
Die Gebietsreform von 1975 war nicht die erste auf dem Gebiet des Märkischen Kreises. Die Neugliederung der Verwaltungsbezirke hatte 1968/1969 eine Vorgeschichte. Per Landesgesetz entstand der Landkreis Lüdenscheid im Wesentlichen aus dem damaligen Kreis Altena und der bisher kreisfreien Stadt Lüdenscheid. Zum Landkreis Altena gehörten seinerzeit die Städte Altena, Werdohl und Plettenberg, die Gemeinden Herscheid und Nachrodt-Wiblingwerde sowie die Ämter Halver, Kierspe, Lüdenscheid-Land, Meinerzhagen und Neuenrade.
Halver und Kierspe wurden Städte
Das Gesetz löste alle Ämter auf und erweiterte die Stadt Lüdenscheid um die rund um die Stadt liegende Gemeinde Lüdenscheid-Land. Halver und Kierspe erhielten den Rang von Städten. Lüdenscheid verlor das Privileg der Kreisfreiheit und erhielt im Gegenzug offiziell den Kreissitz des neuen Landkreises. Die Stadt Altena, die mehr als 200 Jahre lang Kreisstadt gewesen war, verlor – zumindest auf dem Papier – den Kreissitz. De Facto blieb das Kreishaus in Altena die zentrale Anlaufstelle. Zwar liefen bereits 1969 die Diskussionen und Planungen um ein neues Kreishaus in Lüdenscheid an, realisiert wurden die Pläne jedoch erst nach der Bildung des Märkischen Kreises. 1975 wurde dann – wie erwähnt – der Kreis Lüdenscheid mit dem Kreis Iserlohn (ohne Hohenlimburg und Schwerte) und der kreisfreien Stadt Iserlohn sowie dem Amt Balve (Kreis Arnsberg) zum Märkischen Kreis vereinigt.
Altena hoffte auf Verwaltungssitz
Die Stadt Altena erhoffte sich aufgrund ihrer zentralen Lage im neuen Märkischen Kreis Aussichten auf den Verwaltungssitz. Das Rennen machte jedoch Lüdenscheid. Die Landesregierung vermutete hier ein hohes Entwicklungspotenzial für ein starkes Mittelzentrum zwischen Hagen und Siegen. Zudem war der Bevölkerungsanteil des ehemaligen Kreises Lüdenscheid höher als der des Restkreises Iserlohn. Iserlohn wurde der Sitz der neuen Kreispolizeibehörde zugestanden.
Wieso Märkischer Kreis?
„Wieso der Märkische Kreis eigentlich Märkischer Kreis heißt, weiß bis heute niemand so genau“, scherzte damals der am 14. April 2008 verstorbene Dr. Walter Hostert. Der Lüdenscheider CDU-Kreispolitiker war von 1975 bis 1994 ehrenamtlicher Landrat des Märkischen Kreises. Bei der Namensfindung war die Landesregierung seinerzeit nicht zimperlich: Märkischer Kreis suggerierte eine gemeinsame Vergangenheit, die sich historisch nur bedingt belegen lässt. Der Märkische Kreis deckt weder das Territorium der ehemaligen Grafschaft Mark ab, noch waren alle 15 Städte und Gemeinden märkisch. Menden und Balve waren ehemals kurkölnische Städte des Herzogtums Westfalen. Letmathe gehörte zur Grafschaft Limburg. Jürgen Dietrich, ehemaliger Bürgermeister Lüdenscheids (1975 – 1994), sah den Zusammenschluss eher unter wirtschaftlichen Aspekten: „Man entschied sich, eine historisch gewachsene Landschaft zusammenzuführen, in der es die >>Drahtschiene<< Lüdenscheid, Altena, Iserlohn schon seit alters hergegeben hatte“, äußerte er 1995 gegenüber der Presse. Diese Verbindung dokumentiert heute noch der Drahthandelsweg zwischen Iserlohn und Lüdenscheid.
In jedem Fall war es für Politik und Verwaltung eine Herausforderung, die einzelnen Gebietsteile des Märkischen Kreises mit sehr unterschiedlicher Geschichte, Topografie und Infrastruktur zu einer Einheit zusammen zu schweißen. Oberstes Ziel war es, eine gerechte und möglichst gleichmäßige Versorgung der kreisangehörigen Städte und Gemeinden sowie ihrer Einwohnerinnen und Einwohner zu erreichen.
435.000 Einwohnerinnen und Einwohner
Kein leichtes Unterfangen: Am Tag seiner Geburt, am 1. Januar 1975, zählte der neue Kreis 435.584 Einwohnerinnen und Einwohner auf einer Fläche von rund 1060 Quadratkilometern in zwölf Städten und drei Gemeinden. Die beträchtlichen Größenunterschiede zwischen Städten wie Iserlohn mit damals 97.194 Einwohnern, Lüdenscheid mit 78.002 und Gemeinden wie Herscheid mit 6.109 sowie Nachrodt-Wiblingwerde mit 6.811 Einwohnern verlangte der Kommunalpolitik ein hohes Maß an Ausgleichsbereitschaft in politischer Verantwortung für die Teile und für das Ganze ab.